Nachhaltig, vielseitig, urban – eine Reise nach Göteborg


Text: Johannes Möhler/Elchkuss.de

 

Der Wind greift in mein Haar, Möwen segeln mit ihm und vollführen waghalsige Manöver, das Meer ist aufgewühlt. In mir breitet sich das wunderbare Gefühl von Freiheit aus. Ich verziehe mich hinter einen Felsen, wo es windgeschützt ist. Hier wärmt die Sonne, ich setze mich und blicke hinaus aufs Meer. Gerade begegnen sich dort vor der Küste zwei Schiffe. Für einen winzigen Moment sieht es so aus, als wollten sie sich küssen. Dann aber schieben sie sich aneinander vorbei. Das eine verlässt gerade Göteborg, das andere ist die Fähre aus Dänemark, die sich auf den letzten Metern vor dem Hafen befindet. Verträumt schaue ich ihr hinterher. Hier draußen auf den Schären bin ich glücklich.


Nein, nicht nur auf den Inseln – die ganze Stadt Göteborg macht glücklich.

 

Ich stehe auf der felsigen und kargen Insel Galterö vor den Toren der Stadt. Vor wenigen Minuten bin ich durch das kleine Dorf Brännö mit seinen gemütlichen Häusern und engen Sträßchen spaziert. Jetzt bin ich hier in völliger Einsamkeit und genieße Wind, Wellen und das Schreien der Möwen. Schärenidyll. In der Ferne entdecke ich Kräne und die hässlichen Öltanks des Industriehafens. Das sind zwei Welten, die nicht zusammenpassen wollen, und doch liegen sie hier harmonisch nebeneinander.




In Göteborg verschmelzen Gegensätze.

Das macht für mich die 600.000-Einwohner-Stadt so reizvoll. Sie ist Industriestadt und das nachhaltigste städtische Reiseziel weltweit. Sie ist laut und leise, hässlich und wunderschön, hat Hochhaussiedlungen und unglaublich viel Grün, ist hektisch und vollkommen entspannt, noch jung und hat zugleich schon viele Wandlungen durchgemacht. All diese Gegensätze stoßen hier aufeinander, aber sie stoßen sich nicht ab, sondern gehen eine Verbindung ein, die die Stadt zu einer spannenden Metropole macht.


Wo beginnt man aber, wenn man diese vielschichtige Stadt an der schwedischen Westküste entdecken möchte? Am besten im Zentrum. Wir verlassen daher die Schären und begeben uns in die Innenstadt.


Der älteste Teil der insgesamt noch jungen Stadt liegt innerhalb des Wallgrabens. 1621, vor genau 400 Jahren, als Göteborg gegründet wurde, war die Region Bohuslän nördlich der Stadt ein Teil Norwegens und Halland im Süden gehörte zu Dänemark. Die Zeiten waren unruhig, kriegerisch, weshalb die Stadt gut befestigt werden musste. Am Wallgraben, eine im Zickzackmuster angelegte Verteidigungsanlage, sieht man dies heute noch, wenngleich der mit Wasser gefüllte Graben mittlerweile sicher niemanden mehr verschreckt, sondern im Sommer vielmehr die Menschen mit Picknickdecken zum Entspannen mitten in der Stadt einlädt. Das Zentrum lockt aber auch mit unzähligen Möglichkeiten zum Bummeln und Shoppen, vor allem rund um den Dom entlang der Straßen Kyrkogatan, Vallgatan und Kungsgatan. Ist das Wetter einmal schlechter, dann lässt es sich in „Nordstan“, einem der größten Shoppingcenter Nordeuropas, wunderbar einkaufen. Ein ganzes Viertel wurde überdacht und bietet nun alles, was das Bummelherz begehrt.


Direkt neben Nordstan liegt der Gustav Adolfs-Platz, benannt nach dem Gründer der Stadt. Während des alljährlichen Göteborger Kulturfests im August kann man sich hier durch den internationalen Markt futtern. Und auch während des 400-Jahre-Jubiläums, das die Stadt drei Jahre lang (!) von 2021 bis 2023 feiern wird, werden hier einige Feste, Ausstellungen und Veranstaltungen stattfinden. Ebenso im Stadtmuseum, das nur einen Steinwurf vom Platz entfernt ist. Auf der Seite goteborg2021.com findet sich eine Übersicht über alle Aktivitäten und Events rund um das Stadtjubiläum. Es wird viel geboten. Der Besuch der Stadt innerhalb der kommenden drei Jahre lohnt sich also besonders.


Am Kungsportsplatsen, wo eine Brücke den Wallgraben überquert, fahren die Paddan-Boote los, Sightseeingboote, die so flach sind, dass sie unter den niedrigen Brücken hindurchpassen. Auf einer Stadtführung vom Wasser aus kommt man der Stadt und ihrem Wesen besonders nahe. Denn das ist Göteborg in besonderem Maße: eine Stadt des Wassers. Sie liegt an der Mündung des Flusses Göta älv ins Meer. Hier entstand schon früh ein großer Hafen, mehrere Werften deckten den Bedarf an Schiffen, die über die Nordsee auf die großen Ozeane fuhren und somit Schweden mit der Welt verbanden.


Das Paddan-Boot bringt mich hinaus in den Hafen, schwenkt nach rechts und steuert auf die Oper zu. Ihre architektonische Gestalt erinnert – passend zu Göteborg – an ein Schiff. Direkt neben der Oper befindet sich ein Kajakverleih. Wer die Stadt lieber etwas sportlicher entdecken möchte, kann sich hier ein Kajak ausleihen und angetrieben von der eigenen Muskelkraft durch das Hafenbecken und die Kanäle der Stadt steuern. Beim Anblick der Wellen bin ich aber ganz glücklich im Paddan-Boot.


Der Platz bei der Oper ist momentan eine riesige Baustelle. Nicht die einzige in der Stadt. Die nagelneue Hisingen-Brücke über den Fluss wurde gerade erst eingeweiht. Aber auch an anderen Orten verändert die Stadt ihr Gesicht. Im Rahmen des Megaprojekts Älvstaden wächst ein neues Göteborg heran. Mitten in der Stadt sollen tausende neue Wohnungen und Arbeitsplätze entstehen. Zugleich soll der Verkehr in und durch die Stadt neu gestaltet werden – mit eben jener neuen Brücke, einer Seilbahn, vielen Radwegen …


Göteborg ist eine Stadt der Veränderung.


Schon bald nach der Gründung wandelte sich Göteborg von einer Verteidigungsbastion zu einer blühenden Handelsstadt. Die Segelschiffe der Ostindischen Handelskompanie, die ihren Sitz dort hatte, wo heute das Stadtmuseum zu finden ist, fuhren bis nach China und brachten von dort Tee, Porzellan und andere Luxusgüter mit. Ein Schiff aber, die „Götheborg“, sank nach dreijähriger Fahrt kurz vor der Ankunft im Heimathafen. Das Wrack wurde 1984 entdeckt und anschließend nahezu originalgetreu nachgebaut. Von 2005 bis 2007 segelte es erneut nach China und wieder zurück (dieses Mal ohne zu sinken). Der prächtige Dreimaster kann heute an Pier 4 am Nordufer des Göta älv erkundet und bewundert werden.

 

Während der Industrialisierung wandelte sich Göteborg zur Industrie- und Arbeiterstadt. Große Weltunternehmen wie Volvo und SKF wurden gegründet, Werften prägten das Stadtbild. Aber auch diese Zeit ist inzwischen vorbei. Die Werften schlossen und dort, wo früher hart gearbeitet wurde, entwickelten sich moderne und ziemlich hippe Wohngegenden. Aus dem alten Arbeiterviertel Haga wurde ein trendiger und gemütlicher Stadtteil. Ein Bummel durch die Haga Nygata sollte bei einem Göteborg-Besuch auf jeden Fall auf dem Programm stehen. Kleine Butiken und Lädelchen laden zum Stöbern ein und die meist recht vollen Cafés zur Fika-Pause. Fika ist das schwedische Wort für das Kaffeetrinken gemeinsam mit Freunden, für das soziale Beisammensein und die kleine Unterbrechung des Alltags. Das Café Husaren bietet sich für die Fika-Pause an, immerhin werden hier die größten Zimtschnecken der Stadt angeboten, oder das Café Kringlan mit seinen sehr leckeren selbstgebackenen Kuchen.

 

In Haga ist die Zeit ein wenig stehengeblieben. Anderswo schreitet sie in schnellem Takt voran. Göteborg wandelt sich weiter. In den nächsten Jahren und Jahrzehnten soll Schwedens zweitgrößte Stadt zu einer topmodernen Metropole des Nordens werden. Topmodern, das meint hier auch ökologisch. Schon jetzt führt Göteborg regelmäßig den „Global Destinations Sustainability Index“, den Index der nachhaltigsten Reiseziele der Welt, an. 2020 war die Metropole zudem „European Capital of Smart Turism“. Nahezu 95% aller Hotels sind ökologisch zertifiziert, der öffentliche Nahverkehr fährt fast ausschließlich mit erneuerbaren Energien, Secondhand-Läden gibt es in Hülle und Fülle, gut ausgebaute Radwege erleichtern den Umstieg aufs Rad.

 

Aber das ist nicht alles: Die Natur spielt für die Stadt und deren Bewohner eine außerordentlich große Rolle.

 

Ich weiß gar nicht, wo ich mich am liebsten aufhalte. Gerne spaziere ich durch den Slottskogen mit dem kostenlosen Tierpark oder durch den Botanischen Garten. An ihn grenzt der Änggårdsberg an, eine felsige Hügellandschaft perfekt zum Wandern und Mountainbiken. Ich liebe auch den See Delsjön im Osten der Stadt. Die Stadt ist ganz nah und doch weit weg, wenn ich hier ins Kanu steige, bade oder durch die endlosen Wälder stapfe. In Utby etwas nördlich des Delsjön erheben sich hohe Felsen, an denen Sportkletterer glücklich werden. Und noch ein bisschen weiter im Norden fühle ich mich fast ein wenig in der Wildnis, wenn ich die Seen im Vättlefjäll mit dem Kanu erkunde. Göteborg ist nicht nur Großstadt, sondern auch ganz viel Natur.

 

Und dann sind da noch die Schären. Sie sind einfach ein Muss.

 

Die Inseln vor der Küste lassen sich in zwei Hälften teilen – die südlichen und die nördlichen Schären. Die nördliche Hälfte erreicht man am besten mit dem Bus oder dem Auto. Mit der Fähre setzt man von Lilla Varholmen auf die Insel Hönö über. Dann stehen viele Wege offen. Bis hinauf nach Rörö, der nördlichsten Schäreninsel, fahren die gelben Fähren, die kostenfrei genutzt werden können. Wandern auf Rörö, Bouldern auf Öckerö oder Hälsö, Kraxeln über Felsen und Klippen (geht überall) – es ist wirklich ein schweres Unterfangen, hier nicht Entspannung zu finden. Gleiches gilt für die südlichen Schären, die autofrei sind. Dadurch lebt man dort einen noch entschleunigteren Takt, es ist noch ruhiger, noch entspannter. Manchmal tut es hier schon fast weh von so viel Schärenidyll. Erreicht sind die südlichen Schären schnell und unkompliziert. Die Tramlinie 11 fährt bis zur Endhaltestelle Saltholmens Brygga. Dort geht es dann aufs Boot. Welche Insel dabei angesteuert wird, ist eigentlich gar nicht so entscheidend. Brännö, Styrsö, Vrångö? Die großartige Natur der Schären findet man überall.

 

Ich habe Brännö und Galterö ausgesucht, wo ich nun Wind und Wellen genieße und die beiden Schiffe, die sich küssen wollen, beobachte. Hier könnte ich es ewig aushalten, aber es gibt in der Stadt noch viel zu entdecken. Auf dem Rückweg steige ich bei der Haltestelle Mariaplan aus und gehe zu Fuß Richtung Wasser. Mein Ziel ist die Kunsthalle Röda Sten unter der Älvsborgsbron – einer meiner Lieblingsorte in Göteborg, denn er repräsentiert für mich so vieles, was die Stadt ausmacht: Eigentlich ist der Ort kein schöner. Man steht zwischen den tristen Pfeilern einer riesigen Brücke, über die der Verkehr rauscht. Die Kunsthalle selbst ist ein recht unansehnliches Industriegebäude, heimgesucht von unzähligen Graffitikünstlern. Nur knapp entging es dem Abriss. Heute präsentiert die Kunsthalle wechselnde Ausstellungen, bietet Workshops für Jung und Alt an und lädt ins Restaurant und auf die schöne Außenterrasse. Hier sitzt man dann, trinkt Kaffee, genießt das Wasser vor sich, hört den Verkehrslärm über sich, vielleicht fährt gerade noch ein riesiges Schiff ein oder aus. Das ist für mich Göteborg.

 

Mit der Straßenbahn fahre ich zurück in die Innenstadt bis zum Kungsportplatsen. Von dort spaziere ich zunächst auf der Avenyn entlang – Göteborgs Prachtstraße. Hier tummeln sich Kneipen und Clubs, die Avenyn ist der ideale Start, wenn man ins Göteborger Nachtleben eintauchen will. Noch ist es aber nicht so weit. Mein Ziel ist das Ullevi-Stadion. Hier beginnt das, was die Göteborger „Evenemangsstråket“ nennen – die Event- oder Erlebnisstraße. Entlang der Skånegatan bis hinauf zu Korsvägen ist eigentlich immer etwas los (wenn nicht gerade eine Pandemie alles stilllegt). Sei es ein Konzert oder Fußballspiel im Ullevi-Stadion, ein Eishockeyspiel im Scandinavium, die Buchmesse, die Entdeckerwelt Universeum, das Weltkulturmuseum oder – natürlich – der berühmte Vergnügungspark Liseberg. Wie alle Vergnügungsparks im Norden ist Liseberg nicht nur eine Ansammlung von Achterbahnen, Karussells und anderen Attraktionen. Im Park lässt es sich auch ganz wunderbar aushalten, ohne eine der vielen Attraktionen gefahren zu sein. Es gibt Restaurants, Cafés, Tanzveranstaltungen und viele Konzerte. Zu Halloween verwandelt sich Liseberg in einen Gruselpark, woraufhin einen Monat später alles in liebstem vorweihnachtlichem Licht erstrahlt.

 

Direkt neben Liseberg stehen die Gothia Towers. Ich fahre hinauf in den 23. Stock. Hinauf zur Bar Heaven 23. Die Sonne geht gerade unter, die ganze Stadt weit unter mir erstrahlt in goldenem Abendlicht. Die beste Aussicht, die man sich nur vorstellen kann. An der Bar bestelle ich mir einen Cocktail: Change of Ideas. Irgendwie passend zu Göteborg.




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