Island im Corona-Sommer 2020

  

Island im Coronajahr

Ca. zwei Millionen Touristen haben Island im Jahr 2019 besucht, in diesem Jahr sollen es maximal 200.000 – 300.000 werden - vielleicht werden es aber noch weniger, wenn sich die Corona-Pandemie wieder zum Schlechteren entwickelt. Die Straßen sind viel leerer und auf den Parkplätzen findet man keine großen Reisebusse mehr – die Heerscharen der nur schnell von Highlight zu Highlight eilenden Menschenmassen fehlen in der Coronakrise. Trotzdem sind viele Plätze natürlich nicht menschenleer, in vielen Gegenden entdecken jetzt die Isländer ihr eigenes Land wieder und füllen die Campingplätze! In typischen Touristenorten haben viele Menschen ihren Arbeitsplatz verloren, viele Firmen sind pleite gegangen, aber die Menschen hier sind an Krisen gewöhnt und gehen sie oft mit einem realistischen Optimismus an - „þetta reddast“ ist das Lebensmotto, übersetzt heißt das soviel wie: „es wird schon irgendwie klappen“.

Was bleibt den Isländern auch anderes übrig, wenn sie auf einer Insel leben, die von Vulkanausbrüchen und anderen Naturgewalten noch heute geprägt wird, und ein „grummeliger“ Vulkan, der mit den Muskeln spielt, einfach alles lahmlegen kann. Erstaunlicherweise erzählen mir auch viele betroffene Isländer, die im Tourismusbereich arbeiten, dass sie in Bezug auf den Tourismus dieses ruhigere Jahr gut finden und das „immer mehr und immer schneller“ auch nicht das Leitmotto für die Jahre nach der Coronakrise sein sollte. Eine Reiseleiterin beklagt sich bei mir z.B. über Touristen, die eine Reittour nur buchen, weil sie ein Reiterbild von sich haben wollen und dann schnell das Interesse am eigentlichen Erlebnis und dem Reiten verlieren. Dabei geht es eben nicht um das Abarbeiten von „Highlight-Listen“, die man sich auf Instagram, Facebook und Co. besorgt hat und die abgearbeitet werden. Vielleicht gibt uns Corona auch eine längere Denkpause und die Möglichkeit, unser Verhalten stärker zu hinterfragen.




Der wilde Osten!

Doch der Reihe nach und zurück zu meiner Radreise. Nachdem das Ergebnis meines Coronatestes da war (Anmerkung: bis Mitte Juli wurden Deutsche noch bei Ankunft getestet), ging es am nächsten Tag gleich zur ersten „Reifeprüfung“. Es geht von Seydisfjördur aus über den zweithöchsten Pass Islands nach Egilsstadir. Direkt hinter dem Fährort beginnt der Anstieg auf den über 620 m hohen Pass. Langsam schnaufe ich Höhenmeter für Höhenmeter und bekämpfe den inneren Schweinehund erfolgreich; in Dänemark ging es in den höchsten Tagen nicht höher als auf den nächsten Deich hinauf. Nach fast 25 Grad in Dänemark, fühle ich mich nicht nur wegen der Schneereste am Wegesrand bei 7 Grad eher an den deutschen Spätwinter erinnert. Doch irgendwann taucht aus den Wolken die Aussicht über den tief unter mir liegenden See Lagarfljót auf.

Wer um den von Gletscherflüssen milchig-trüb gefärbten See fährt, kann sein Vorurteil vom waldlosen Island widerlegen und in Atlavik sogar in einem herrlichen Wäldchen unter Bäumen zelten! Hallormsstadur ist der größte Wald Islands und Anfang des 20. Jahrhunderts angelegt worden. Neben den dominierenden einheimischen Birken gibt es hier einige eingeführte Exoten, die Höhen von zwanzig Metern erreichen! Besonders an den Wochenenden zieht es zieht es Isländer, die auch mal einen Waldspaziergang machen wollen, in Scharen dort hin. Islands Küsten sind im Mittelalter bis auf Höhen von 300 bis 400 Metern bewaldet gewesen. Dieser Wald verschwand nicht nur wegen des sich verschlechternden Klimas, sondern auch wegen der Schafe. Heute forstet man vielerorts fleißig auf, die kurzen Vegetationsperioden lassen aber alles nur langsam wachsen!


Ab in die Einsamkeit

Das schlechte Wetter bringt mich dazu einen Umweg zum Gästehaus zu machen. Das Gästehaus ist ein etwas abseits der Straße gelegenes Haus, in dem ich der einzige und wohl erste Gast seit langer Zeit bin. Da es am nächsten Tag bei 5 Grad stürmt und schüttet, fahre ich nicht weiter, auch wenn der nächste Laden mindestens zwei Tagesetappen entfernt ist. Die Wirtin kommt herein und fragt mich freundlich lächelnd, ob ich noch irgendetwas brauche. Neben dem verlangten Liter Milch schenkt sie mir ungefragt eine ganze Packung Steaks. Am nächsten Tag strampele ich bei besserem Wetter weiter in das fast unbesiedelte Innere und biege auf die alte Straße 1 ins Hochland ab.

Einige der tief geschotterten Wellblechpisten-Steigungen sind mit 12-14% einfach zu steil für meinen mit 35 kg beladenen „Schwerlaster“, ich schiebe kurze Passagen. Die raue Straße folgt dem Verlauf der alten Ringstraße und nimmt im Gegensatz zur neuen Ringstraße so ziemlich jeden Anstieg in der Landschaft mit. Irgendwann hält sogar ein mitleidiger Bauarbeiter an und bietet mir eine Mitnahme an, die ich aus Stolz ablehne. Es geht zur Mödrudalur, der höchst gelegenen Farm Islands, wo ich bei Sonnenschein die Aussicht bis zum markanten Vulkan Herdubreid genieße. Mit ein bisschen Glück sieht man hier man am Abend auch ziemlich zahme Polarfüchse herum laufen.
Die Wetterwechsel auf Island könnten kaum extremer sein. An einem Tag bin ich mit T-Shirt und kurzer Hose unterwegs und die Sonne lässt alles in satten Farben erstrahlen, und am nächsten lassen graue Novemberwolken, kalter Nordwind und Temperaturen unter 10 Grad Gedanken an den Herbst aufkommen. Die größte Herausforderung einer Radtour auf Island sind die heftigen und unberechenbaren Winde. Selbst auf flacher Strecke schleiche ich gegen den Wind mit vollem Krafteinsatz mit 8-10 km über die Ebene, durch die sich die Straße schnurgerade zieht. Als endlich die Straße nach Westen abknickt, stehen die endlosen Lupinenfelder im fast surrealen Kontrast zu den mondähnlichen Geothermalfeldern vor dem Myvatn.


Am Myvatn

Es ist ruhig am See, einer der Campingplätze dort, an dem die Zelte zu dieser Zeit im Normalfall dicht an dicht stehen, macht jetzt gerade auf. Ich kann mein Glück kaum fassen, Myvatn heißt eigentlich „Mückensee“, doch eine kleine Brise hält die kleinen Plagegeister, die sonst oft in Tornadostärke auftreten, auf dem Boden und das Thermometer zeigt fast „tropische“ 18 Grad im Schatten.
Jetzt Anfang Juli verschwindet die Sonne gegen Mitternacht und taucht um 2.30 Uhr morgens wieder auf. Der Myvatn ist eine dieser Muss-Stationen Islands, für die man sich unbedingt zwei oder drei Tage Zeit nehmen sollte. Nirgendwo sonst kann man die vulkanischen Wunderwelten Islands so kleinräumig erleben wie rund um den See. Auch wer keine sportlichen Ambitionen hat, kann den See einmal auf recht flachen und guten Straßen in knapp 40 km mit einem Leihrad umrunden. Rund um den See gibt es eine Fülle von dunklen Lavaburgen, heißen Quellen, Kratern, kleinen Wäldchen und sogar geothermalen Kraftwerken. Wer es sich am Ende eines langen Tages richtig gut gehen lassen möchte, kann in das herrlich warme Wasser des Myvatn Nature Bath eintauchen.


Vom Myvatn nach Husavik

Die Hauptstraße windet sich wie ein buckeliges Seemonster über jeden Hügel, ich fühle mich ein wenig wie in den Weiten Kanadas. Der stete Nordwind degradiert mich zur Schnecke, die mit 8-10 km/h durch die Weiten schleicht, um die kleine Stadt Husavik zu erreichen. Am nächsten Tag geht es in der längsten Tagesetappe bei Sonne über 100 km nach Akureyri.


Die grüne Hauptstadt des Nordens

Akureyri ist mit knapp 20.000 Einwohnern die größte Stadt außerhalb von Reykjavik und Umgebung und steht ein wenig im ewigen Wettstreit mit der Hauptstadt, welche denn die „Schönere“ sei. Akureyri ist in jedem Fall eine sehr grüne Stadt, Baumalleen säumen die Straßen und kleine Vorgärten lassen ebenso wie der prachtvolle botanische Garten fast vergessen, dass man nur ca. 100 km südlich des Polarkreises ist. Gerade, wer vorher durch die oft baumlosen Regionen im Inneren gereist ist, wird die gemütliche Atmosphäre der kleinen Stadt mit ihrer anheimelnden Fußgängerzone schätzen. Der 60 km lange Eyjafjörður sorgt nicht nur für ungewöhnlich mildes Klima, sondern ist im Sommer auch Heimat zahlreicher Wale, die man mit ein bisschen Glück von Akureyri und von Dalvik gut beobachten kann. Ich habe viel Glück und sehe gleich vier Buckelwale, die sich hier über den Sommer Fett anfressen, bevor es in den Süden geht. Hier endet zwar nicht meine Reise, aber zumindest meine Reisebeschreibung. Auch wenn ich nicht glaube, dass ich irgendjemanden auf den Geschmack gebracht habe, das Ganze einmal mit dem Fahrrad nachzufahren, so hoffe ich, dass ich Sie mit diesem kleinem Ausschnitt neugierig auf Island gemacht habe …

Text & Fotografie: Reinhard Pantke


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